Notbremsensommer Leuchtturmherbst.

Der Sommer zeigt sich nochmals in seinem ganzen Stolz. Wie ein alternder König herrscht er, er bringt Hitze, überfüllte Badis, Mücken und mehr Verkehr auf der Aare als auf der flirrenden A6. Bloss an seinen Rändern fängt der Sommer nun an zu welken, endlich…! Es war ein langer Sommer. Ein müder Sommer. Die Schlaflosigkeit erreichte ihren Peak – ich das absolute Low und so schlich ich mich durch die Tage, mit Hängeschultern und müde von den Haarspitzen bis zu den Zehen, müde im Herz. Wie ein alternder König kultivierte ich Augenringe, das innere Zittern, und eine beeindruckend schlechte Laune. Mir ihr konnte ich selbst die aufdringlichen Fliegen verscheuchen. Immerhin…

Der Geduldsfaden wurde zur Zündschnur. Es wurde Zeit, die Notbremse zu ziehen. Quietschend und qualmend und nach heissem Eisen stinkend kam alles zum Stehen. Nun nichts wie weg.

Nach dahin, wo ein grüner Fluss langsam fliesst, wo blaue Libellen über grünem Wasser tanzen. Wo ich mich unter eine Plantane legen konnte, und blinzeln. Ich liess Himself ungeniert mir den Mädels im Campingpool baden, und tauchte ab – las und blinzelte und schlief endlich wieder mehr als drei, vier Stunden. Golde liebte den grünen Fluss, ist es nicht herrlich? fragte sie wieder und wieder und spritzte Wasser hoch. Sie tauchte, und baute kleine Aquarien für kleine Fische. Bevor sie sie wieder schwimmen liess, gab sie ihnen Namen. Das hier ist Neurig , weil er so neugierig ist. Neurig verschwand schnell zwischen Steinen und Algen, weiter unten im Fluss wartete ein hungriger Reiher. Ich wünschte Neurig Vorsicht. Und mir mehr Mut.

Die kleine Fee wurde zwei. Sie mochte weder den Kuchen noch das kalte Wasser, wohl aber das Steine in den Fluss werfen. So war er, der Notbremsensommer, langsam, ein wenig langweilig, ein wenig einsam, ein wenig heilsam. Die Lunte wurde wieder zum Geduldsfädelchen. Während der Juliregen aufs Dach tropfte, fand ich meinen Schlaf wieder und damit die Ruhe, und schliesslich ein Zipfelchen von mir selbst zurück.

Nun ist Alltag und Elendshitze, der Sommer wirklich viel zu stolz. Golde geht in den Kindergarten, Himself bleibt öfter zu Hause, die Welt öffnet sich, sie wird grösser und bunter. Im dunkelblauen, noch immer viel zu heissen Abend, lese ich den Mädchen eine Gutenachtgeschichte vor. Hallo Leuchtturm. Es ist eine ruhige Geschichte, genau richtig für müde Kindergartenkinder kurz vor Chübeli um. Sie erzählt vom letzten Leuchtturmwächter, flüstert leise von verlorenen Zeiten. Von wechselnden Jahreszeiten, von Wind und Wellen, vom vollen Leben. Auf dem höchsten Felsen einer kleinen Insel, ganz am Rande der Welt steht ein Leuchtturm. Er ist für die Ewigkeit gebaut und sendet sein Licht über das Meer. Der Nebel kommt, der Nebel geht. Die Wellen türmen sich auf und brechen. Der Wind bläst und stürmt. Hallo! …Hallo! …Hallo! lese ich laut und schluchze plötzlich ins Bibliotheksbuch. Golde und die Fee schauen mich entsetzt an. Ich kann nicht anders. Ich weine um die verlorenen Leuchtturmtage. Um die Zeit, die sich nicht anhalten lässt, um den bereits wieder vollgestopften Alltag.

Wie kann ich ihn leben, ohne bald schon wieder den roten Knopf drücken zu müssen?

Weniger jonglieren?

Weniger oft den Spagat üben?

Auf weniger Hochzeiten tanzen?

Wie lebt sich Alltagsminimalismus?

Wie finde ich den Leuchtturm?

Ich beschliesse, mir jeden Tag Zeit für ihn zu nehmen, für fünf Minuten vielleicht, oder eine Stunde oder einen weiten Nachmittag lang. Zeit zu finden, in der wir zusammen allein sind. Zeit zu stehlen, in der ich ins Logbuch schreibe. Das Uhrwerk aufziehe. Die Linse poliere. Mich um das Licht kümmere. Wolken und Wellen beobachte. Allein bin, und mein Licht wieder leuchten lasse.

Kommt gut durch diese Elendhitze. Bald haben wir es geschafft!

xx, nina

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4 Kommentare

  1. Schön wieder von dir zu hören, Nina. Und wie immer schaffst du es, dein Leben, deine Gefühle in aussergewöhnliche Bilder zu packen. Dein Text fliesst wie der dunkelgrüne Fluss dahin. Tiefgründung, erfrischend anders.

    Mut, der Herbst kommt und schon zu bald der Winterschlaf.
    Emma

    1. Merci. Es ist schön von dir zu lesen 😊 hui du hast Recht, an den Winterschlaf habe ich noch gar nicht gedacht. Und der Herbst kam ja grad schon angerannt. Ich hoffe du hattest einen guten Sommer. In einem ruhigen Moment freue ich mich darauf, zu lesen, was bei dir so los war und wohin es sich wohl so verschlagen hat. Ä schöne Tag

  2. Liebe Nina, hatte schon das Schwesterherz gefragt, wie es Dir wohl geht. Nun lese ich es, wie auch bei Dir Wellen auf – und abschlagen. Egal, wo ich grad hinhöre, ist es viel. Ich drücke Dich mal durch den Äther und wünsche Dir schöne Leuchtturm-Momente. Herzensgrüße Susanne

    1. Liebe Susanne, danke. Danke, die wünsche ich dir auch. Und ich freue mich darauf, in einem ruhigen Moment bei dir vorbeizulesen 💛

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