Von Plitschplatschs, Lemmingen und Mut

Wir gehen an die Aare. Das Picknick vergesse ich, doch hättichdoch und wärichdoch und solltichnoch? sind mit dabei. Manchmal fällt es mir so schwer, im Moment zu leben. Eine Wasseramsel putzt sich – völlig weltvergessen – im kalten Wasser. Der Herbst steht der Aare gut, dunklere Erdtöne zum hellen Wasser, Farbklekser überall in den Wäldern rundherum. Plitsch, Platsch, werfen die Mädchen kleine graue Steine ins helle Wasser. Plitsch. Platsch. Ich mache mit. Plitsch. Platsch. Plitsch, platsch. Es fühlt sich seltsam gut an. Jedem Stein gebe ich einen neuen Gedanken mit, den ich nicht mehr denken mag. Hier. Dem schwarzen Kieselstein gebe ich dawurdeichzulaut mit. Plitsch. Dahabeichnichtrichtigzugehört. Platsch. Die Aare nimmt die Plitschplatschs geduldig an. Der Fischer, der sich mit seinem Hund auf der kleinen Halbinsel gleich gegenüber stationiert hatte, zieht jedoch ab. 

Zu guter Letzt werfe ich all die hättichdoch und wärichdoch und solltichnoch ins Wasser und wische mir die Hände an der Hose ab. Ich fühle mich leichter, als hätte ich all die Steine vorher in der Tasche mitgeschleppt. Beim Aufstieg kommen wir jedoch schön ins Schwitzen. Rundum uns schliessen sich die bunten Herbstbäume, das Laub raschelt unter unseren Füssen. Sonst ist es still. «Wusstest du, dass Lemminge sich alle vier Jahre stark vermehren?» frage ich Himself. «Doch», fahre ich fort, «und dadurch auch die Hermeline und die Eulen und die ganzen anderen Fressfeinde. Da die Lemminge ihnen in der Tundra weitgehend ungeschützt ausgeliefert sind, wird ihre Population so stark reduziert, dass am Ende auch ihre Feinde eingehen». «Die Natur regelts von allein» meint Himself. «Wie brutal. Wenn man da an einen Gott glaubt, muss man auch glauben, dass er eine sadistische Ader hat. Findest du nicht auch?» «Ja, schon», meint Himself «doch das ist nicht Schöpfung, sondern Evolution». Ich finde den Gedanken irgendwie tröstlich. 

Die bunte Herbstwelt macht mich traurig. Wir kriegen alle eine Runde, denke ich mir, und dann ist Schluss und Aus. Ein orangefarbener Schmetterling flattert am Weg.  

Zu Hause google ich: Bedeutung orangefarbener Schmetterling. Google antwortet: eine Begegnung mit einem organgefarbenen Schmetterling kann eine Erinnerung an die Freuden des Lebens sein oder eine Ermutigung, sich mehr mit der Welt zu beschäftigen. 

Es wird früh dunkel. Kurz vor Dämmerung setzen wir uns nochmals nach draussen. Der Himmel ist jetzt helles blau und Pastell. Lily taucht aus ihrem Spiel auf. «Pippi ist mutig. Und stark», erzählt sie mir.

«Ja», sage ich. 

Wir alle kriegen eine Runde. Doch Aufsteigen braucht manchmal richtig viel Mut.

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4 Kommentare

  1. Ich glaub, ich muss auch wieder mal an einen Fluss und Steine reinwerfen. Meine Taschen fühlen sich in letzter Zeit schwer an. Vom Ballast rumschleppen werde ich manchmal ganz grantig und „pfurre“ meine Mitmenschen an. Besser Ballast abwerfen.
    Merci für den Tipp.
    Emma

    1. Kenne ich Bestens! Manchmal ist es doch gut, den ersten Stein zu werfen 😉 wünsche dir eine gute Nacht, Nina

  2. Welch ein wunderbares Stein-Ritual. Bin gerne in Deine Bilder getaucht. Habe heute auch einen Stein gefunden. Vielleicht kann ich mit ihm ‚hättichdoch und wärichdoch und solltichnoch‘ auch ins Wasser oder auf´s Eis ditschen. Herzensgrüße, Susanne

    1. Ich fand es auch ganz wunderschön. Kann man bei euch schon aufs Eis ditschen?

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