Kunst isch ging äs Risiko und andere Wintergedankem

Brrr, ist es kalt geworden! 

Zeit für Kerzen, heisse Suppen und warme Socken, während sich draussen Winterwolken aufbauen, und einzelne Sterne kühl funkeln. Kleine Atemwölkchen schweben in der kalten Luft. Jacken und Schultern werden hochgezogen und Hände tief in den Taschen vergraben.

Der Sommer ist bloss eine Erinnerung, wie an glücklichere Tage. 

Morgens ist es dunkel, und still, und Lily mag nicht in den Kindergarten gehen. Kein Bock, Steinbock! ruft sie laut und noch immer im Pijama, obschon die Zeit läuft, und sie eigentlich lossollte. Wir essen Honigbrote, und reiben uns etwas müde die Augen, denn in der Nacht ist ein Wintersturm übers Haus gezogen, mit Sturmböen, und Rauschen und Trommeln. Herr Möller, der Gute, ist ins Klo gefallen und fand sein trauriges Ende, und ich bin erstaunt, wie sehr mir die kleine Maus leidtut. Nana ist da und sie meint, er sei wenigstens wohlgenährt gewesen. Kein Wunder, mit all den Leckereien, die tagtäglich unter dem Tisch gelandet sind, der kleinen Fee, die mit Reiswaffeln bewaffnet durch die Gegend rannte, und den Brotrauften, die die Mädels stets irgendwo verstecken. Irgendwie erinnert mich Herr Möllers Ende an Mani Matters Eskimo. „Wenn Nina beim Eskimo jedesmal weint, können wir ihn nicht mehr singen!“ meinte die Lehrerin und die anderen Kinder buhten. Doch ich konnte nicht anders. Spätestens bei „so isch är um ds Läbe chooo“ schluchzte ich stets hemmungslos los. „Kunst isch gäng es Risiko“, hörte ich bereits nicht mehr und wohl auch das Buhen nicht.

Nun färbt der späte Herbst alles grau, und genau wie Lily fällt es mir grad nicht leicht, mich jeden Tag neu auf den neuen Alltag einzustellen, mit Kindergarten, und Winterstürmen, und neuen Herausforderungen. Vielleicht ist es an der Zeit, meine zwei kleinen getöpferten Elefanten wieder aufzustellen. Marie, unsere Nachbarin, hatte sie mir zur Konf geschenkt. Marie war grosszügig, vor allem mit Zeit und mit Schokolade, und bei ihr liess sich so schön Domino spielen, und darum war sie auch mehr als einfach eine Nachbarin. Ihre Elefanten sind mehr als nur Elefanten, denn sie sind sehr weise und sie zogen mit mir mit und um, in verschiedenste Wohnungen und sie erhielten stets einen Platz, irgendwo, wo ich sie gut sehen konnte. Leg dir eine dicke Haut zu, flüsterten sie mir von dort aus zu, wenn es Zeit wurde, mich daran zu erinnern. Leg dir eine dicke Haut zu, sage ich mir jetzt, zwischen Winterstürmen und vor dem Kindergarten, während ich darauf warte, dass Lily herauskommt, und ich mich unsicher fühle, zwischen den anderen Müttern und unter der grauen Kuppel. Manchmal denke ich, die Regeln nicht zu verstehen und ich denke an Marie, und an ihr Leben, und daran, dass wohl auch sie die Regeln nicht immer verstanden hat. Ihr grosses Herz bewahrte sie sich trotzdem, durch alle Winterstürme durch. Ich wünsche, ich könnte ihr ein glücklicheres Leben zaubern, und Herr M. ein leichteres Ende. Ich versuche, an meine Träume zu glauben. Kunst isch gäng es Risikoooo, singt meine Erinnerung, leg dir eine dicke Haut zu, trompeten die Elefanten, bewahre dir dein grosses Herz, flüstert Marie.

Ich hoffe, dass dort, wo sie jetzt ist es keine Winterstürme mehr gibt, und keine Regeln, die man nicht versteht, und schon gar nicht das Gefühl, wie die andern sein zu wollen, aber nicht zu wissen wie.

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2 Kommentare

  1. Deine Texte berühren mich sehr, liebe Nina. Danke 🥰

    1. Merci, liebe Linda 🙏 ich hoffe euch geht es gut 🥰 in diesem grauen November

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