Von der Kunst, im Kitsch zu landen
Die Tage sind voll. Wie Oktoberfestbesucher, oder wie das Wohnzimmer von einem Messi: zu voll. Der Alltag zu atemlos, die Nächte zu schlaflos und die Abrutschgefahr zu groß. Mit einem Bein stehe ich fest auf dem Boden, das andere schwankt bedrohlich über einer mitternachtsdunklen Tiefe. Ich versuche, die Tage aufzuräumen, sie zu entschlacken, sie auf das Wesentliche einzuköcheln. Fragen aus einem Buch begleiten mich dabei, es sind Worte aus Nachdenken über Christa T.
Lebst du jetzt, wirklich? In diesem Augenblick, ganz und gar? Wann, wenn nicht jetzt?
Ich plane ein Ganz & Gar Wochenende: Sip & Paint mit Freundinnen, ein einsamer Spaziergang im Schnee (dicke Flocken tanzen, als wäre es Anfang Januar), ein heisses Bad ohne kleine Badegäste, die ein Plastikschiff in der Badewanne herumtuckern lassen.
Ich male mir meinen Wunschalltag bunt aus. Einen Alltag, in dem ich mich weniger in Zukunftsgedanken verheddere, weniger über schlecht geschmiedete Pläne stolpere und darab das Hier und Jetzt, das Ganz & Gar vergesse, den Boden, den ich aufnehme, das Brot, das ich backe, den Storch, der im Regen ausharrt und den Himmel vor dem Fenster, den nächsten Atemzug. Die Zeit vergeht schnell, kleine Badegäste werden groß. Schon üben sie ihre ersten Züge. Darum hoffe ich auf Ganz & Gars, die leicht sind und luftig und süß, wie gutes Schokoladenmousse und reif und voll und geduldig, wie guter Wein. Ich hoffe, dass ich den Kleinen zeigen kann, dass der Alltag anders sein kann, langsamer, ein Nein okay und Grenzen wichtig sind und wo Wichtiges einen Platz bekommt. Wichtiges, keine To – dos, nicht Dringendes, nicht unverschämt Drängelndes, einfach Wichtiges.
Die Woche rollt heran und dann rollt sie sich aus und sie ist wie immer ein wenig zu atemlos und ein wenig zu schlaflos. Ich sammle kleine Glücksmomente. Versuche die Langsamkeit aus. Bin manchmal ungeduldig. Backe Brot. Ich kriege eine WhattsApp. Wer Brot zu backen wisse, kenne die Formel für ein glückliches Leben. Mehl, Wasser und Salz? Einfachheit? Ruhezeiten? Reifen lassen? Einen weichen Kern, aber Biss?
Haue wie ein Steinhauer Unwichtiges und Nichtwesentliches aus dem harten Alltagsstein. Mörtel und Staub überall und kein David, aber ein doch ganz okayiges Ergebnis. Staubkörner tanzen. Beinah über Nacht wird es Frühling. Am Freitag bringe ich Lily in die Spielgruppe. Eine schwarze Katze spaziert gemütlich von links nach rechts über die Straße und ich bin mir nicht sicher, ob ich eigentlich abergläubisch bin oder nicht. Zum Glück verläuft der Tag ohne Pech. Lily spielt beim Mittagessen Giraffe und vertilgt eine Unmenge Bäume … äh, Brokkoli. Die Fee klettert über den Zaun und auf und davon und sie ist mittlerweile so schnell, dass ich und meine Adiletten sie erst beim Stall wieder einholen. Ich finde einen Moment zum Schreiben. Beim Tippen herrscht jedoch wieder Absturzgefahr. Zack, ich rutsche, halte mich noch knapp an Frühlingszweigen fest, doch meine Stiefel sind schon voller Kitsch. Egal. Egal, wie kitschig es klingt, ich kritzle die Buchstaben stolz: tu was dich glücklich macht. Tu es! Es gibt so viel Schönheit, alles, was wir manchmal tun müssen, ist lernen, sie neu zu sehen.
Dann schüttle ich meine Stiefel aus und spaziere mit offenen Augen in die neue Woche.