Herbstträume

Herbst. Der Morgennebel wickelt sich über die Aare, und die Wolken werden groß und spätsommrig, helle Watte an hellem Blau, von einer ganz schön kühlen Bise manchmal ganz schön verzogen. Viele Äpfel sind bereits im Sommer vom Baum gefallen, einfach so, und so lagen sie da, verteilt wie kleine Ausrufezeichen.

Ich werde als menschlicher Nüggel gebraucht, die Fee kann bloss so wieder einschlafen und aufwachen tut sie oft, mehrere Male in der Nacht. Dann streichle ich den kleinen verschwitzen Kopf und murmle nicht jetzt, Fee, und biete den kleinen blauen Nuggi an, doch den schmeißt sie entrüstet durchs Zimmer. Sti-ill, Sti-ill, still wenn’s Kindle-ein schlafen will, singt es in meinem Kopf, während ich die Fee schaukle und sich das erste Morgenlicht hereinschleicht. Leider gesellen sich sowohl Kopfweh wie auch das schlechte Gewissen mit dazu. Ich habe keine Ahnung, was ich da tue, oder tun soll. Mach was für dich stimmt, du entscheidest das doch, oder ihr zusammen, sagt meine innere Stimme. Dann summt sie wieder ihr nerviges sti-ill, sti-ill… Ich vermisse die Dunkelheit, den Sternenstaub, die Träume. Wenn ich denn träume, dann seltsam. Etwa, dass die englischen Prinzen und ihre Frauen ein wedminar launchen: eine Onlineserie übers Heiraten, über royale Hochzeiten, inklusive Gerüchteküche, pikanter Details und potenzieller brüderlicher Versöhnung. Irgendwie witzig, die Idee, außerdem gäbe es bestimmt genügend Gwundernasen, dass sich das wedminar verkaufen ließe wie Klopapier in 2020. Gedichts – Strophen werden geträumt, schläft ein Lied in all den Dingen, die da träumen, fort und fort und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort. Doch meine Welt, träume ich weiter, meine Welt singt nicht, die schnarcht bloß, schläft und schnarcht, oder flüstert vielleicht, ein Flüstergesang. Dann wiederum erwache ich mit seltsamen Traumgedanken kein Mensch lebt zweidimensional 20 auf 20 Meter, jeder Mensch lebt auch in die Tiefe, höre ich mich im ausfransenden Schlaf referieren. Oder in die Breite, denke ich mir, während ich die Augen reibe. Zeit für Kaffee. Trotz aller Träumerei vermisse ich den echten Schlaf, in dem die Träume aus Urtiefen aufsteigen, und sich wieder dorthin zurückziehen, gut verborgen, wie unbekannte Meereskreaturen. Jene Träume, an die man sich nicht erinnern kann, beim Frühstücktisch bloß gähnt und habichgutgeschlafen murmelt, geträumtabernichts. Jenen Schlaf, der mir den Zugang zu mir, meiner Intuition und meiner Freude erleichtert, mich neu oder zumindest „neuer“ macht, wo Wünsche und ihr Potential wach und „wahrer“ werden. Ich vermisse das Nachtdunkel, das nicht ständig von einer kleinen Fee unterbrochen wird. Nachts schlafe ich nicht wirklich, tagsüber bin ich verpeilt, verpennt und werde nicht richtig wach. Es ist, als wäre ich in einer Art „Tag – Nacht – Upsidedown gelandet“. Dort stecke ich nun fest.

Sonnenlicht und Sternenstaub

Schlaf und einen Traum

Ich wünschte mir es wäre wahr

Ich wünscht, es wär ein Traum

Was wahr ist, wurde erst geträumt 

Und Wahrheit oft verträumt

Ich brauche Sonnenlicht und Kraft,

Wurzelwege, ein Versteck

Die Dunkelheit von dieser Nacht

Die Farben eines Traums

Die Sonne, die mich wieder weckt

Ein bisschen alt, ein bisschen neu

Ein bisschen altbekannt…

Ein erster Sonnenstrahl fällt durchs Fenster. Ich lasse ihn. Letzter Sternenstaub löst sich auf. Ich falle, mit weit offenen Augen, in den Tag hinein.

Kennst du eine gute Stillberaterin? schreibe ich meiner Hebamme später, als sich der Nebel aufgelöst hat und die Sonne warm auf die dünnen Feenhärchen scheint. Ich bin müde, wie man sich als menschlicher Nüggel halt fühlt, gereizter und stirnrunzliger als sonst. Zuwenigschlafen hängt sich an mich, oder füllt mir Blei in die Schuhe, oder beides. Lily kuschelt sich auf meinen Schoss, warme Beine und Haare, die mich kitzeln. Sie riechen frisch, nach Kinderschampoo. Ich habe dich gezeichnet, meint sie, das bist du mit Schuh… am Einkaufen, und das hier ein Vulkan, der grad ausbricht. Aha, interessant. Hihi. Doch, ganz klar, das bin ich, mit Bleischuh.

Der Frühherbst brachte nebst seinem weiten Himmel, ersten Kürbissen, tiefroten Tomaten und schlaflosen Feennächten auch Lilys Geburtstag; schon vier Kerzen für vier kugelrunde Jahre. Also backe ich einen kugelrunden Kuchen, süß und sahnig und kriegte Bauchweh davon. Meine Schuhe waren an jenem Tag jedoch außerordentlich bleiig und ich ganz besonders schwer, jedenfalls schien der Tag im Gegensatz zu mir zu leicht; er schwebte davon, wie ein Partyballon. Wir gingen in die Stadt und es regnete und war kalt und windig und herbstlich. Es war viel los, zu viel für mich müdes Landei. Wieder zurück kochten wir das von ihr gewünschte Petterson & Findus – Essen, Köttbullar mit Kartoffelstock und Preiselbeeren (der Onkel hatte halb Freiburg danach abgesucht, bis er fündig wurde, denn wir sind leider doch nicht im Norden, auch wenn wir gerade so tun). Lily durfte mit ihm Fußball gucken, eingekuschelt in eine gelbe Decke. Zwirbelte dann herum, setzte sie beim großen Kuchen – Moment kurz auf meinen Schoss, wirbelte wieder davon.

Als alle schliefen, erinnerte ich mich an das klitzekleine Baby, das auf meinem Bauch lag und so herrlich duftete, nach neuem Leben und dem schönsten Versprechen und daran, dass die Zeit für einen kleinen Moment einfach stillstand.

Vier Jahre, viel Chaos. Viel Lachen, Umdenken und Neulernen. Vier Jahre, viele kleine, perfekte Momente. Einige, an denen ich mich kringelig geärgert habe oder schrumplig gesorgt. Ich wünsche mir eine Uhr, mit der ich die Zeit ein bisschen langsamer laufen lassen könnte. Ich wünsche mir, ich wäre klarer und direkter und könnte manchmal besser dafür einstehen, was mir wichtig ist. Der Frühherbst fließt in den Oktober und erste Weihnachtskugeln schleichen sich zu den Kürbissen, Wahnsinn, die spinnen doch, die Verkaufsleiter. Die Uhr tickt, schnell, die Zeit läuft, und uns durch die Finger. Es wird Zeit für warme Getränke und Zimtkuchen. Admirale flattern vorbei, auf ihrem Weg in den Süden. Ich schaue ihnen nach. Und wünsche ihnen Glück.

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2 Kommentare

  1. Guten Morgen Du Liebe, fühle mit Dir mit beim Lesen. Bin kein Profi beim Stillen. Mir ist nur eine kleine Katze zugelaufen, die ständig meine Nähe sucht. Ich glaube, wir sind so viel Nähe einfach nicht gewohnt. Ich lerne mit ihr und merke, wie es auch mir gut tut. Mit ihr steht die Zeit still. Ich drücke Dich mal durch den Äther, Susanne

    1. Streichle mal die kleine Katze auch von mir… schön dass sie sich gefunden hat.
      Ich merke immer wieder, dass ich in der Nacht oft viel mehr „meinen Platz“ brauche.

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