Spätsommergedanken (oder von der Angst, das Leben zu verpassen…)

Die Zeit lief. Der Spätsommer löste die Sommerregentage ab und machte es sich gemütlich, er brachte seinen weiten Himmel mit, sein goldenes, tanzendes Spinnwebenlicht und seine kühlen Nächte. 

Erste Kürbisse wurden ausgestellt, wie kleine bunte Herbstboten. Äpfel hingen schwer an den Bäumen. Die kleine Fee wurde grösser und kräftiger und ich drückte sie fest an mich, als ich von der Nachkontrolle, dem letzten Arzttermin, der noch irgendwas mit dieser Schwangerschaft zu tun hatte, nach Hause kam. „Wir haben es geschafft“, sagte ich ihr. „Du hast es manchmal ganz schön spannend gemacht. Aber wir haben es geschafft.“

Sie strampelte. 

Mir war, als ob ein Kreis sich schliessen würde und so trank ich einen Kaffee, blinzelnd im tanzenden Spätsommerlicht, und nahm mir einen Moment, um von ihr Abschied zu nehmen: meiner vielleicht letzten Schwangerschaft.

Lily beschloss, jetzt Holländerin zu sein, und so begannen wir, die Kinderlieder auf holländisch zu hören. Bin schon ganz gut vorbereitet für potentielle Hollandferien. Smakelijk eten? und schon finde ich ein gutes Restaurant. Hoofd , Schouder, Knie en Teen hilft in der Apotheke, mit van voor naar achter van links naar rechts kann ich jeden Weg beschreiben (oder linedancen) und mit het is Winter bibber bibber bin ich bei jedem Smalltalk dabei. 

Aber mal ehrlich, irgendwie tat es mir gut, denn es war, als würde ich mein Hirn mal für was völlig Neues zu brauchen, für was anderes, und nicht dafür, Einkaufslisten zu schreiben, mir zu überlegen, wie ich Gemüse möglichst gut getarnt ins Essen schmuggeln, eine Kindernacht  friedlich begleitet werden, oder, Herrjesses, das Tragetuch gebunden werden kann. 

Himself besuchte ein Seminar für zukünftige Führungskräfte. Jeden Abend erzählte er mir von was Neuem, was er gelernt hatte. Ein kleiner Teil von mir lief dabei heimlich ganz rot an, so sehr beneidete ich ihn. Nicht, weil ich eine zukünftige Führungskraft werden möchte. Wohl aber, weil ich gerne wieder Neues lernen und mich mal einen ganzen Tag in ein Thema vertiefen möchte. Einmal versuchte er ein Förderungsgespräch gleich aus, ganz subtil. Was war besonders schön heute? (die 5 Minuten Ruhe als mal beide gleichzeitig schliefen;) Was würdest du anders machen? ( äh, weiss nicht, gibst du mir mal das Schneidebrett da?) Er meinte daraufhin, ich hätte auf die „Clues“ ja gar nicht richtig angebissen, aber hej, ich war grad damit beschäftigt, Gemüse ins Essen zu schmuggeln, gleichzeitig zu stillen, und Lily davon abzuhalten, genussvoll in den Parmesan zu beissen, den ich eben zum Reiben bereit gelegt hatte.

Wo siehst du dich in 5 Jahren? fragte mich die zukünftige Führungskraft heute ganz unsubtil. Und traf dabei auf einen Gedankenwirbel, der seit einiger Zeit in mir dreht, strudelt, und ja, manchmal auch ganz schön unsubtil wirbelt.

Wo sehe ich mich? 

Verpasse ich den Anschluss im Berufsleben? 

Zu mir? 

Meinen Träumen? 

Was will ich denn überhaupt? 

Und wie? 

Manchmal habe ich Angst, das Leben zu verpassen. 

Mein Leben. 

Vielleicht ist es das goldene Licht, oder die Herbstfrische, die in der Luft liegt, die reifen Äpfel, der leere Bauch, der Kreis, der sich wieder schliesst. Aber gerade jetzt taucht sie immer mal wieder an die Oberfläche: die Angst, nicht zu finden, worin ich wirklich gut bin. Nichts zu bewirken, nichts zu verändern, nichts zu hinterlassen. Nichts gewagt zu haben, nicht gepokert, nicht gesucht, oder bloss zu wenig. 

Was ich brauche ist ein bisschen Zeit. 

Genug, um die Spätsommerwolken zu beobachten. Genug, um mir Luft zuzufächeln. Genug, um mir Gedanken zu machen, über mich, meine Ziele und Träume und genug, um an ihnen zu schrauben. 

Holland! Zum Holland! Bitte! unterbricht Lily meine Gedanken.

Ja, sage ich ihr. 

Irgendwann.  

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4 Kommentare

  1. Liebe Nina, wieder hat mich Dein Text berührt. Ach, wie ich diese Ängste kenne. Lass sie zu, aber lass sie nicht Dein Leben bestimmen. Ich suchte so lange nach mir selber. Aber ist nicht gerade das unser Weg? Kein Führungsseminar hilft uns dabei, glaube mir. Beruflicher Erfolg ist vergänglich, das Leben bietet mehr. Sei neugierig und auch geduldig, es lohnt sich!!! Und – ach ja, das weisst Du sicher schon längst: die Kinder werden so schnell gross… und zurück bleibt nur noch Wehmut…

    1. Merci dir!!

      Und die Zeit geht wirklich so schnell. Morgen wird die Grosse schon drei!

      Bis bald😊🌸

  2. So schön geschrieben, liebe Nina. Deine Ängste kann ich gut verstehen. Alles hat wohl seine Zeit. Momentan habe ich auch das Gefühl, die Zeit verfliegt wie im Fluge. Wer weiß, vielleicht wirst Du auch eine Holländerin? Ich bin als KInd auch mal als Holländerin zum Fasching gegangen. Liebe Grüße, Susanne

    1. Danke 😊
      Gell, sie flieg nur so, die Zeit!
      Vor allem in den Ferien…
      Als Holländerin zum Fasching, das gefällt mir!

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