Pünktchen und Lily

Heute erzähle ich eine schöne Geschichte. Eine, voller Hoffnung (auch wenn sie sich teilweise nicht so lesen wird…)

Sie beginnt an einem dieser letzten schönen Herbsttage, einem mit goldenem Licht und bunten Blättern und Kürbis. Die Menschen strecken nochmals ihre Gesichter zur Sonne. Die Katzen liegen auf der aufgewärmten Mauer und schlecken sich die Pfoten. Das Plus, das eben auf dem Ergebnisfeld erschienen ist, schaut mich ungläubig an. Ich schaue ebenso ungläubig zurück.

Irgendwie hatte ich gerade jetzt nicht mit ihm gerechnet, diesem Plus, das das Leben für immer verändert. Ich weine ein bisschen. Glückliche Tränen. Am Wein, der Himself bereits eingeschenkt hat, schnuppere ich bloss. Eine Stunde später beginne ich zu bluten. Ich weine wieder. Oh, du lieber Augustin, alles ist hin. Himself legt mir die Hand auf den Bauch, noch ist nicht alles hin. Am nächsten Morgen gehe ich zum Arzt. Er schaut lange, zeigt auf dem Bildschirm ein kleines Pünktchen und verschreibt Hormone und Daumen drücken. Pünktchen ist noch da! Mein Herz könnte vor Freude zerspringen, als ich über die Kirchenfeldbrücke gehe. Es regnet. Meine Füsse sind nass. Aber das könnte mir nicht egaler sein. Himself legt mir die Hand auf den Bauch, wusst ich`s doch, meint er.

Kurz darauf beginnt die Schwangerschaftsübelkeit. Stellt euch vor, ihr habt eine Magengrippe, liegt so im Bett und denkt, das hier, mm, nicht gut, ich übergebe mich gleich. Genau diese Übelkeit ist immer da. Morgens, Mittags, Abends, in der Nacht. Essen wird eine echte Herausforderung, denn bloss Mandarinen, Orangen und Äpfel bringen mich nicht zum würgen. Diese Übelkeit bleibt, wochenlang, monatelang. Ausserdem könnte ich mich jetzt als Trüffelschwein anstellen lassen. Oder als Drogenhund am Flughafen. Mein Geruchssinn wird beinahe übersinnlich. Wenn 5 Häuser weiter vorne jemand eine Zwiebel aufschneidet, kann ich`s riechen. Zur unendlichen Dankbarkeit mischt sich ein Übelkeitsfrust und der Wunsch, diese Schwangerschaft geniessen zu können. Ich verliere nicht nur die Freude am Essen, sondern gefühlt an allen schönen Dingen überhaupt. Raus zu gehen, Yoga zu machen, ein Bild zu malen oder auch nur eine Zeile zu schreiben wird etwa gleich attraktiv wie… eine Fliege zu essen. Oder in einem Eisloch zu planschen. Nicht mal Fernsehen lässt mich besser fühlen. Der Alltag wird zur Belastung und während ich mich verstecke und versuche, mich bloss auf meinen Atem zu konzentrieren und mir einrede, dass es mir in einer Stunde vielleicht besser geht, steht Himself mit beiden Beinen und starkem Rücken mittendrin und übernimmt, was er kann, erzählt Lily Geschichten und hört ihr zu, er wickelt und wischt und kocht und überredet mich zum Essen und erträgt mein nerviges Gemurmel, wenn ich im Teller herumstochere und jedes Haar in jeder Suppe finde. 

Hat nicht Oscar Wilde «wer nicht geniesst, wird ungeniessbar» gesagt? Nein, nicht Wilde. Schiller war`s. Vielleicht. Ich hab` gegoogelt und da hiess: ein Zitat von Friedrich Schiller (angeblich). Wer`s auch immer war, hatte jedenfalls recht.

Da ich immer wieder mal Blutungen habe, sehe ich in den nächsten Wochen meinen Frauenarzt öfter als meine Freunde, und sowas ist nie gut. Versuche zu beobachten, nicht zu beurteilen und bleibe guter Hoffnung, schreibt mir meine Hebamme, als ich meinen Kopf mal wieder im Sand verbuddeln könnte. Mit dem Virus anstecken will ich mich jetzt wirklich nicht und werde beinahe schrumplig vor Einsamkeit. Dann kriege ich Husten. Und Kopfschmerzen. Schon wieder werde ich positiv getestet. Trotz aller Vorsichtsmassnahme hat COVID mich eiskalt erwischt. Lily ist auch krank und kurz darauf beginnt Himself zu Husten. Zu meiner grossen Erleichterung kriege ich kein hohes Fieber und nach einigen Tagen scheint der Spuk schon vorbei. Was jedoch bleibt, ist eine Müdigkeit, die mich, zusammen mit der Übelkeit, etwa ebenso energiegeladen fühlen lässt, wie ein vergessener Putzlappen in der Seemannsbar. Ich bin gehuddelt. Erhuddelt. Heimtückische Seuche! Zum Glück verliere ich meinen Geruchssinn, eine Zukunft als Trüffelschwein hätte ich sowieso nicht gesehen und jetzt wird mir wenigstens nicht bei jeder Zwiebel im Umkreis von 500 Metern schlecht. Kaum aus der Quarantäne entlassen, beginnen neue Blutungen, stärker diesmal und ich sitze einmal mehr beim Arzt im Wartezimmer und die Minuten verstreichen wie Stunden, bis er endlich meinen Namen ruft. 

Wisst ihr was? Pünktchen ist noch da! Das Herzchen schlägt, der kleine Punkt sieht bereits aus wie ein kleines Baby, mit Kopf und Armen und Beinen und es führt grad einen Tanz auf im Bauch. Sieht gut aus, meint der Arzt, nicht so, als würde das Baby gehen. Er schallt noch ein Weilchen und findet ein Hämatom, welches die Blutung erklärt. Ruhig bleiben, meint er noch und einmal mehr laufe ich durch den Regen. Über die Kirchenfeldbrücke, mit kalten Füssen, glücklich wie ein Schneemann in Alaska. 

Das Weihnachtsessen jedoch wird zum Spiessrutenlauf, weil mich noch immer nur Äpfel, Mandarinen und Orangen nicht zum würgen bringen. Immerhin gibt’s Orangensalat! Kurz nach Weihnachten gehe ich zum Arzt, mal wieder, aber diesmal für eine Routinekontrolle. Ich staune nicht schlecht, als er das 4D – Bild einschaltet, alles ist da, das Näschen, die Finger, der Mund, die Finger, alles. Es ist definitiv kein Pünktchen mehr und braucht wohl einen neuen Namen. Lily streichelt das Foto. Oh, oh, Bebe, spricht sie zu ihm. Ich packe diesen Moment der Dankbarkeit mit beiden Händen und verstaue in sicher. Nachmittags gehe ich mit meiner Freundin spazieren, es regnet und die Sonne scheint und als ich nach Hause fahre, denke ich über dieses seltsame Jahr nach, dieses schwarze Schaf, das schon bald über die Hecke springen wird. Ein Jahr mit mehr Regen als Sonne, aber auch eines, das einen warme Socken und trockene Füsse, Freundschaft und Gemeinschaft schätzen liess. Ein Jahr, das mich selbst ganz schön als klitzekleines Pünktchen fühlen und mich Achterbahn fahren liess, eines, in dem die Stimmung häufiger wechselten als das Aprilwetter… ein Jahr, das mich mein eigenes Licht und meine innere Stärke suchen liess und mir das Wichtigste schenkte: Hoffnung. 

So, und jetzt wünsche ich euch allen schonmal ein schönes und gesundes 2021!

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4 Kommentare

  1. Meine Liebste, es freut mich zu hören, dass es Dir besser geht. Habe oft an Dich gedacht.
    Einen dicken Drücker, Susanne

    1. Vielen lieben Dank🙏
      Ich hoffe dir geht es gut✨ einen Drücker für dich, Nina

  2. Ich habe mich ein bisschen gesorgt, weil ich so lange nichts mehr von dir gelesen habe. Mit Recht, wie ich jetzt sehe. Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht.
    Du hast einen tollen Text geschrieben.
    Natürlich sind das tolle Neuigkeiten! Ich wünsche dir und Pünktchen ganz viel Glück und Gesundheit.
    ä guete Rutsch ins 2021 – Emma

    1. Vielen Dank!
      Dir wünsche ich auch einen guten Rutsch! Bald nehme ich mir endlich Zeit zu lesen, wie es dir so ergangen ist, da freue ich mich schon drauf.

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