Der Frühling

Ausser Lily und mir ist niemand unterwegs. Der Wind bläst uns um die Nase. Nee! ruft sie, hält ihre Hände in die Luft, als würden kleine Schneeflocken um uns herumtanzen, und zeigt auf den weiss gepuderten Hügelzug.

Es ist ruhig. Bloss eine Amsel hüpft davon. Geli! juchzt Lily. Dem Wald sieht man die Unordnung, die Sabine und Ellie und all die andern stürmischen Ladies hinterlassen haben, an. Ausserdem ist es grau und ein bisschen düster.

Grad wie meine Stimmung. Denn wir haben beschlossen, die Familienplanung auf die Ersatzbank zu schicken und erstmal abzuwarten, wie sich die ganze Corona – Situation entwickelt. Macht ja irgendwie Sinn. Aber was für ein doofer Zeitpunkt, grad jetzt, wo der Wunsch hell wiedererwacht ist und mich zwickt und zwackt und ein bisschen ungeduldig ist und grad gar nicht warten mag und schon gar nicht machen, was sinnvoll ist.

Und ich, ich muss wieder an Imsi denken und es fühlt sich irgendwie an, als müsste ich ein zweites Mal Abschied nehmen. 

Brr, ist der Wind kalt!

Der Frühling kommt. Aber darunter liegt noch ein alter Winterschmerz. 

Der Schwarzdorn blüht hell. Ein Schwarm Märzenglöckchen stehen eng zusammen und tratschen. Als wir vorbeilaufen, recken sie ihre Köpfe. Dann tratschen sie weiter.

Doch ist mir, als würden die Waldbewohner mir die alte Weisheit hinterherraunen, krächzen, flüstern, zwitschern:

Für alles gibt es eine Stunde

Und Zeit gibt es für jedes Vorhaben unter dem Himmel:

Zeit zum Gebären

Und Zeit zum Sterben

Zeit zum Pflanzen

Und Zeit zum Ausreissen des Gepflanzten

Zeit zum Töten

Und Zeit zum Heilen

Zeit zum Einreissen 

Und Zeit zum Aufbauen

Zeit des Klagens

Und Zeit des Tanzens

Zeit, Steine zu werfen

Und Zeit Steine zu sammeln

Zeit sich zu umarmen

Und Zeit sich aus der Umarmung zu lösen

Zeit zum Bewahren

Und Zeit zum Wegwerfen

Zeit zum Zerreissen

Und Zeit zum Nähen

Zeit zum Schweigen 

Und Zeit zum Reden

Zeit zum Lieben 

Und Zeit zum Hassen

Zeit des Kriegs

Und Zeit des Friedens

Wir gehen weiter zum alten Herrenhaus mit dem grossen Garten und den drei schlanken Birken, die grad sehr blass und fröstelnd dastehen. Wo bleibt der echte Frühling? meinen sie etwas ungeduldig. Mich müsst ihr nicht fragen, meine ich, ebenso wenig gut gelaunt. 

So hängen wir je unseren Gedanken nach. 

Peppa! Peppa! Peppa Pig! ruft Lily fröhlich. Und jubiliert. 

Keine fünf Meter vor uns steht ein Reiher. Er schaut uns an und bleibt, trotz Jubel, ein Weilchen da, zeigt sich ihr in aller Ruhe und aus nächster Nähe, bevor er irgendwann doch beschliesst, wegzufliegen.

Nur Geduld, sage ich mir. Nur Geduld. 

Nur Vertrauen, sage ich mir. Nur Vertrauen. 

Der Frühling wird schon kommen.

Share this Post

4 Kommentare

  1. Dein Blog kommt gerade zur rechten Zeit – sehr tröstend für Meieli, ein Lichtblick im Spital! Danke! Klaus

    1. Ich denke an euch💛

  2. Du wirst schon den richtigen Zeitpunkt für Euch finden und Kinder kommen eh meist, wenn sie wollen. Ich finde es sehr tröstlich, dass die Kinder diesen Virus gut wegstecken. Einen lieben Gruß von Norden nach Süden

    1. Wie wahr! Einen lieben Gruss zurück in den Norden

Kommentar verfassen